Magazin für Kultur

Schlagwort: rezension (Seite 2 von 2)

Mascha Kaléko — Suche nach Heimat

In diesem Roman set­zt Indra Maria Janos der pop­ulären Lyrik­erin Mascha Kaléko ein ein­fühlsam erzähltes Denkmal und gibt dadurch auch ein far­biges Porträt Berlins in den 1920er und 30er Jahre. Es beschränkt sich im wesentlichen auf die Zeit Kalékos in Berlin, obwohl ihre Suche nach Heimat schon nach der Flucht aus Gal­izien begann, die über Frank­furt und Mar­burg nach Berlin führte. Dort fand sie ihre Heimat, war als Autorin erfol­gre­ich, ging Ehen ein, gebar einen Sohn, bis sie als Jüdin von den NS-Herrschaft immer mehr eingeschränkt 1938 in die USA emi­gri­eren kon­nte. Schon 1944 wurde sie US-Bürg­erin, lebte in Israel, besuchte ein let­ztes Mal 1974 Berlin und starb auf dem Rück­weg in Zürich. Die Autorin dieser Roman­bi­ografie lässt sich von eini­gen der her­aus­ra­gen­den auto­bi­ografisch geprägten Gedichte Kalékos anre­gen. So gelingt in diesem Buch ein mitreißen­des Miter­leben von Mascha Kalékos doch nur manch­mal leuch­t­ende Jahre in Berlin (wo natür­lich das Urban-Kranken­haus in Kreuzberg und nicht in Kreuzbach ste­ht – siehe der Druck­fehler auf S. 184).

Indra Maria Janos: Suche nach Heimat — Mascha Kalékos leuch­t­ende Jahre, 368 Seit­en, dtv Ver­lag, München 2022, ISBN: 978–3‑423–26341‑2, EUR 16,95 [DE]

Arbeiten am Geheimnis der Welt

Zum 80. Geburtstag von Peter Handke

Während der Pro­tag­o­nist, “an dem Geheim­nis der Welt [arbeit­en]” (91) möchte, nimmt die Für­sorge für das eigene Kind seine ganze Aufmerk­samkeit in Beschlag. Doch in der Beziehung zu seinem Kind erfährt der Pro­tag­o­nist Momente, in denen das Geheim­nis der Welt spür­bar wird. Von dieser Diskrepanz zwis­chen Fak­tiz­ität und Tran­szen­denz han­delt Peter Hand­kes Erzäh­lung “Kindergeschichte”.

Die Erzäh­lung beschreibt die ersten zehn Jahre der Beziehung eines Vaters zu sein­er Tochter. Wed­er der Vater noch die Tochter wer­den namentlich genan­nt, auto­bi­ografis­che Details lassen jedoch ver­muten, dass es sich um die Beziehung Hand­kes zu sein­er Tochter Ami­na han­delt. 

Obwohl Hand­ke auto­bi­ografisch schreibt, bleibt die Erzäh­lung nicht auf Hand­kes sub­jek­tive Lebenswirk­lichkeit beschränkt. Auf­fäl­lig ist, dass der Erzäh­ler sich selb­st als ‚der Erwach­sene‘ und seine Tochter als ‚das Kind‘ beze­ich­net. Auch Orte und Städte wer­den nicht namentlich genan­nt. Dadurch wird ein gewiss­es Abstrak­tion­sniveau erre­icht.

Faktizität und Transzendenz in der Beziehung zwischen Vater und Kind

Der Erzäh­ler verbindet mit dem Gedanken an ein Kind „die Vorstel­lung von ein­er wort­losen Gemein­schaftlichkeit, von kurzen Blick­wech­seln, […] von Nähe und Weite in glück­lich­er Ein­heit“ (7). Man kann in den Begrif­f­en Nähe und Weite eine Rem­i­niszenz an die zuvor genan­nten Begriffe Fak­tiz­ität und Tran­szen­denz erken­nen. Die Fak­tiz­ität, sich um das eigene Kind küm­mern zu müssen, schließt Nähe ein. Die Entschei­dung der Mut­ter, für einige Zeit wegzuge­hen, um in ihrem Beruf neu anz­u­fan­gen, schließt eine solche Nähe aus und kommt in den Augen des Pro­tag­o­nis­ten einem Mis­sacht­en der fak­tis­chen Wirk­lichkeit gle­ich: „War die Verpflich­tung ‚Kind‘ nicht das Natür­liche, Sin­n­fäl­lige, Ein­leuch­t­ende, zu dem es nicht ein­mal eine Frage geben durfte? War nicht jede noch so wun­der­bare Leis­tung, die erkauft war mit dem Ver­leug­nen des Offenkundi­gen, der einzig verbinden­den Wirk­lichkeit, von vorn­here­in unehren­haft und ungültig?“ (46/47)

Allerd­ings geht die Beziehung des Vaters zu seinem Kind über die zuvor genan­nte Fak­tiz­ität hin­aus. Der Erzäh­ler beze­ich­net diese Ebene als Glauben: „Ohne je eine Mei­n­ung zu ‚Kindern‘ im all­ge­meinen gehabt zu haben, glaubte er eben an dieses bes­timmte Kind.“ (63) Der Glaube über­schre­it­et die fak­tis­che Wirk­lichkeit. Es gibt hier eine Nähe zwis­chen Vater und Kind, die nicht an die Fak­tiz­ität gebun­den bleibt, son­dern auf die Weite der Tran­szen­denz hin­ausweist.

Diesen Glauben an das eigene Kind kon­trastiert der Erzäh­ler durch den Begriff des Zweifelns (65). Der Zweifel ist an die Fak­tiz­ität gebun­den. Konkret zweifelt der Pro­tag­o­nist an der sozialen Kom­pe­tenz seines Kindes. Im Umgang mit Gle­ichal­tri­gen stellt sich das Kind beson­ders ungeschickt an. Der Umzug in einen frem­den Sprachraum, in dem anti­deutsche Ressen­ti­ments spür­bar sind, vere­in­facht dieses Prob­lem nicht. Für den Pro­tag­o­nis­ten ist es eine kon­flik­tre­iche Erwä­gung, ob das Kind den­noch unter Altersgenossen am besten aufge­hoben sei: „Waren dem­nach erst die ‚Artgenossen‘ die eigentlichen Ange­höri­gen, und die Erwach­se­nen im besten Fall bloße Sorge­berechtigte?“ (60) 

Das Geheimnis der Welt

Eine Auflö­sung erfährt dieser Kon­flikt zwis­chen Glauben und Zweifeln in einzel­nen Momenten, in denen so etwas wie das “Geheim­nis der Welt” spür­bar wird. Beispiel­sweise beschreibt der Erzäh­ler einen Aus­flug, den der Pro­tag­o­nist mit ein­er Gruppe von Kindern, zu denen auch das eigene Kind gehört, untern­immt (70f.). Im Zuge dessen erfährt sich der Pro­tag­o­nist nicht nur als Auf­sichtsper­son, son­dern als selb­stver­ständlich­er Teil der Gruppe. Auch das eigene Kind ist ohne Prob­leme inte­gri­ert. Die Stra­pazen der Wan­derung sind geteilte Stra­pazen, welche die Gruppe zusam­men­schweißen. Im Erleb­nis dieser Ein­heit und Gemein­schaftlichkeit erfährt sich die Gruppe als ein einziger Organ­is­mus. Mit anderen Worten ver­weist dieses Erleb­nis auf eine tran­szen­dente Har­monie und appel­liert an die men­schliche Fähigkeit zum Glauben an das “Geheim­nis der Welt”. 

Peter Hand­ke: Kindergeschichte, Suhrkamp 1981, ISBN 3–518-03016–7.

James Joyce & Company — Über die Buchhändlerin und Verlegerin Sylvia Beach

Diese Roman­bi­ogra­phie erzählt das Leben von Sylvia Beach, ein­er jun­gen Amerikaner­in in Paris. Ihre in den 1920er Jahren gegrün­dete Buch­hand­lung “Shake­speare & Com­pa­ny” wurde leg­endär als Tre­ff­punkt der Intellek­tuellen dieser Zeit. Hem­ing­way, Gide, Valéry und Gertrude Stein gin­gen hier ein und aus. Beson­dere Ver­di­en­ste hat sich Beach um James Joyce erwor­ben. Sie unter­stütze ihn in vielfach­er Weise und wagte nach Abdruck einzel­ner Episo­den die voll­ständi­ge Pub­lika­tion seines umstrit­te­nen Romans Ulysses.

Im Jahr 2022 wird an den 140. Geburt­stag James Joyces, des wohl bedeu­tend­sten irischen Autors der Mod­erne, und an das 100. Jubiläum der Erstveröf­fentlichung von Ulysses erin­nert.
Joyce beschrieb einen einzi­gen Tag eines Dublin­er Som­mers — den 16. Juni 1904. Es war der Tag, an dem er zum ersten Mal mit Nora Bar­na­cle spazieren gegan­gen war, die seine Gefährtin fürs Leben wer­den sollte. Er ord­nete seine Erzäh­lung um Episo­den aus Homers “Odyssee” an. Durch die Details aus der “Odyssee”, die er ver­wen­dete, ver­band er in iro­nis­ch­er Absicht das Epis­che mit dem Gewöhn­lichen.

Sehr anschaulich und ein­fühlsam schildert die Autorin das Erleben Beachs in dieser Zeit, auch ihre enge Beziehung zu ihrer Lebenspart­ner­in, die noch vor Shake­speare & Co. eine Buch­hand­lung mit französich­sprachiger Lit­er­atur gegrün­det hat­te, gle­ich­falls ein intellek­tueller Tre­ff­punkt. Das infor­ma­tive Nach­wort legt den Schw­er­punkt auf die Entste­hung des Buch­es und dem weit­eren Leben der Pro­tag­o­nistin­nen.

Ker­ri Maher: Die Buch­händ­lerin von Paris, Roman, 391 Seit­en, Klap­pen­broschur, insel taschen­buch 493, Insel Ver­lag, Berlin 2022, ISBN 3978–3‑458–68233‑2, 16 €.

Michael Ende und der Ursprung aller Möglichkeiten

Um zu lieben, braucht es die Vorstel­lungskraft, dass das, was einem im All­t­ag begeg­net nicht alles sein kann. Das ist vielle­icht nichts, worin sich die Liebe von anderen Werten unter­schei­det. Auch Schön­heit, Stärke, Mut und Weisheit sind Werte, die den Sta­tus quo über­steigen. Ger­ade in der Gebrochen­heit unser­er Exis­tenz erleben wir die Sehn­sucht nach diesen Werten. Doch nur die Liebe ver­langt, dass wir unser Ich radikal preis­geben. Diese Erfahrung macht Bas­t­ian Balthasar Bux in Michael Endes Roman „Die unendliche Geschichte“.

In gewiss­er Weise ist „Die unendliche Geschichte“ ein Entwick­lungsro­man. Der Pro­tag­o­nist lernt näm­lich an einem Punkt tief­ster Verzwei­flung, sich selb­st neu zu denken und sich so eine Iden­tität zu schaf­fen. Anders als im klas­sis­chen Entwick­lungsro­man zieht Bas­t­ian jedoch nicht hin­aus in die Welt, son­dern hinein in sein Inner­stes. Denn der Ausweg aus sein­er Mis­ere liegt in seinem eige­nen Selb­stver­ständ­nis. Ist er daran gebun­den, feige zu sein? Oder birgt seine Vorstel­lungskraft nicht eben­so die Möglichkeit, ein mutiger Held zu sein? Man kön­nte annehmen, dass es nicht viel bedeutet, sich nur als mutig vorzustellen. Tat­säch­lich ist aber ger­ade diese Bere­itschaft, die Sehn­sucht und das Wün­schen zuzu­lassen, die Grund­lage aller Möglichkeit­en und die Voraus­set­zung des Han­delns über­haupt: Nur wer sich als mutig vorstellt, hat die Möglichkeit mutig zu sein. Wer es sich in sein­er Feigheit bequem macht, erfind­et wom­öglich tausend Ausre­den, weshalb das nicht anders gin­ge; doch er wird niemals über sich hin­auswach­sen. In dem Maß wie jemand auf seine fak­tis­che Exis­tenz beschränkt bleibt, wird er niemals eine Iden­tität entwick­eln. Die Iden­tität, die sich Bas­t­ian in Endes Roman zu eigen macht, ist das, was er sein möchte. Doch er lernt, dass er nicht er selb­st sein kann, wenn er nicht auch seine Ver­gan­gen­heit annimmt – wenn auch nur, um in der Zukun­ft ein ander­er zu sein.

Für Michael Ende ist jedoch an diesem Punkt die Iden­titätssuche des Pro­tag­o­nis­ten nicht abgeschlossen. Bas­t­ian stellt sich am Ende des Romans der fak­tis­chen Wirk­lichkeit, als jemand, der bere­it ist, sein Ich preiszugeben – nicht in der Kapit­u­la­tion gegenüber der Welt des Fak­tis­chen, son­dern in der Sehn­sucht auf den höch­sten Wert: die Liebe. Damit hat er seinen Mut real ein­gelöst. Zugle­ich war seine Iden­titätssuche notwendig, denn nur wer ein Ich hat, das er preis­geben kann, ist zur Liebe fähig.

Zur Zeit sein­er Pub­lika­tion wurde Endes Roman als unpoli­tisch und eskapis­tisch kri­tisiert. Im Gegen­satz dazu denke ich, dass „Die unendliche Geschichte“ äußerst poli­tisch ist. Ende zeigt, dass die Voraus­set­zung allen (poli­tis­chen) Han­delns die Fähigkeit und der Mut zur Fan­tasie ist.

Michael Ende: Die unendliche Geschichte, Thiene­mann Ver­lag 2019, ISBN: 978–3‑522–20260‑2; 20 Euro.

Wenn das Fahrwasser unruhiger wird

Als freier Jour­nal­ist hat man es nicht leicht: Die Ein­sendun­gen für eine Lit­er­aturzeitschrift müssen redigiert wer­den, erweisen sich jedoch als nicht ger­ade gehaltvoll. Und einen sorgsam recher­chierten Artikel in ein­er renom­mierten Tageszeitung unterzubrin­gen, ist auch nicht ein­fach.

Aber der Autor und Jour­nal­ist Sascha Fehrmann hat es ganz gut getrof­fen. Er wohnt mit sein­er Frau und sein­er Tochter in einem großbürg­er­lichen Haus in Karl­sruhe, das ihnen die Schwiegerel­tern abge­treten haben. Der großflächige Garten hin­ter­lässt regelmäßig Ein­druck bei seinen Besuch­ern.

Doch die Fehrmanns kom­men in unruhigeres Fahrwass­er, als sich ein alter Schul­fre­und Saschas namens Frank Kali­na in ihr Leben ein­nis­tet. Der zunächst unwillkommene Gast, den man zu Beginn des Romans noch für einen Ein­brech­er hält, hat das Tal­ent in jed­er Sit­u­a­tion tonangebend zu sein. So zieht er die Aufmerk­samkeit auf sich, als er Frem­den von sein­er Ver­gan­gen­heit als „Men­schen­fress­er“ erzählt, und ver­prellt die bürg­er­lichen Par­tygäste der Fehrmanns durch sein emphatis­ches Plä­doy­er für die Frei­heit. Der pro­fes­sionelle Schaus­piel­er tritt frühzeit­ig der Laienthe­ater­gruppe von Saschas Ehe­frau bei und überzeugt mit seinem unberechen­baren Charis­ma. Sein Hang zum Abgründi­gen zeigt sich nicht nur in sein­er Vor­liebe für Schauer­ro­mane E. T. A. Hoff­manns, son­dern auch in seinem eige­nen Lebensen­twurf.

Das Mys­teri­um, das den selb­ster­nan­nten „Men­schen­fress­er“ umgibt, schlägt Sascha in Bann. Während immer neue Details aus Franks Ver­gan­gen­heit ans Licht kom­men, rückt die Gefahr für Sascha und seine Fam­i­lie immer näher. Den­noch hadert Sascha lange mit der Entschei­dung, wie er sich gegenüber Frank posi­tion­ieren soll, in dem er mehr und mehr das Spiegel­bild eines alter­na­tiv­en Lebensen­twur­fes erken­nt.

Volk­er Kamin­skis Roman „Der Ges­tran­dete“ überzeugt als Kri­mi mit exis­ten­zial­is­tis­chem Touch. Das Motiv des Dop­pel­gängers zieht sich auf mehreren Ebe­nen durch den Roman und erzeugt eine faszinierende Atmo­sphäre der Ambivalenz. Auch Sprache und Stil machen es dem Leser leicht, sich in die Lebenswelt der Pro­tag­o­nis­ten zu begeben.

Volk­er Kamin­s­ki: Der Ges­tran­dete, Lin­de­manns Bib­lio­thek, Band 327, Info Ver­lag 2019, ISBN: 9783963080289.

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