Der Roman “Schönes Leben” von Volk­er Kamin­s­ki beschreibt die Stu­dien­zeit des jun­gen Kün­stlers Vik­tor Diebig in den 1980er Jahren in Karl­sruhe. Kaum das Abitur in der Tasche, weiß Vik­tor, was er beru­flich wer­den möchte: freier Kün­stler. Seine Zeich­nun­gen und Ölgemälde lassen Poten­zial erken­nen und einige sein­er Werke wur­den sog­ar schon in ein­er lokalen Galerie aus­gestellt. Vik­tor ist ziel­stre­big, aber er ist sich auch bewusst, noch am Anfang zu ste­hen. Das nötige Handw­erk­szeug möchte er an der Karl­sruher Kun­stakademie erler­nen. Vik­tor wird angenom­men und die eigentliche Lehrzeit begin­nt. Anders als im klas­sis­chen Entwick­lungsro­man führen ihn seine Lehr­jahre nicht auf Wan­der­schaft in die weite Welt hin­aus. Aber die Auseinan­der­set­zung mit der Kun­st ermöglicht ihm eine beständig reifer wer­dende Beziehung zur Welt.

Zu Beginn sein­er Stu­dien­zeit dient Vik­tor die Kun­st eher als Flucht vor der Wirk­lichkeit: ‘Ich füh­le mich fast wieder wie mit sechzehn, als alles anf­ing und ich das Schöne suchte als Gegen­mit­tel zu unserem Fam­i­lien­leben und allem Hässlichen in der Welt.’ (179) Tat­säch­lich scheint ein Gegen­mit­tel nötig zu sein, um das ver­bit­terte Fam­i­lien­leben zu ertra­gen. In Vik­tors Eltern­haus hängt der Haussegen oft schief. Das geht sog­ar so weit, dass sich die Eltern andro­hen, einan­der zu ermor­den. Die Eltern ver­legen sich dann doch auf zivilere Tren­nungsmeth­o­d­en, doch die schwieri­gen Fam­i­lien­ver­hält­nisse belas­ten Vik­tor und die übri­gen Fam­i­lien­mit­glieder schw­er. Für die Hand­lung des Romans wird die kom­plexe Vater-Sohn-Beziehung wichtig. Zwar ist der Vater stolz auf Vik­tor und prahlt ein ums andere Mal mit dem Tal­ent seines Sohnes; ander­er­seits zweifelt der Vater daran, dass der Sohn sich als freier Kün­stler behaupten kön­nen wird. Die eigene Ver­gan­gen­heit als ‘Ost­flüchtling’ hat den Vater gegenüber unsicheren Beschäf­ti­gungsver­hält­nis­sen und fehlen­den sozialen Absicherun­gen skep­tisch wer­den lassen. Hinzu kommt, dass Vik­tor mit der Wahl sein­er Motive keines­falls den gängi­gen Pub­likums­geschmack trifft. Ein bevorzugtes Sujet Vik­tors sind Knochen und Skelette. Die nat­u­ral­is­tis­che Darstel­lung von Kör­pern ist stel­len­weise ent­fremdet und legt den Blick auf blanke Knochen frei. Was in Vik­tors Augen ein “memen­to mori”-Moment her­vor­ruft, stößt auf Ablehnung beim Pub­likum, das sich nicht von einem Zwanzigjähri­gen an die eigene Sterblichkeit erin­nern lassen will. Sollte Kun­st gefall­en? Was ist die Rolle der Kun­st inner­halb der Gesellschaft? Inwiefern kann sie Spiegel der Zeit sein und zugle­ich ihre Unab­hängigkeit vom Zeit­geist bewahren? Vik­tor macht sich die Antworten auf diese Fra­gen nicht ein­fach. Allerd­ings ist es beze­ich­nend, dass der Pro­fes­sor, dessen Klasse Vik­tor an der Kun­stakademie ange­hört, ihn in ein­er Szene ermah­nt: „Sie soll­ten dich den Ver­bohrten nen­nen“ (108). Die Ver­bohrtheit, mit der Vik­tor immer wieder diesel­ben Knochen­mo­tive malt, ist symp­to­ma­tisch für seine Ent­frem­dung von sein­er Umwelt. Er kapselt sich von Fam­i­lie und Kom­mili­to­nen ab und die daraus resul­tierende Iso­la­tion drückt sich auch in den Motiv­en sein­er Arbeit aus.

In dem Maß, in dem Vik­tor jedoch neue Aus­drucks­for­men in sein­er Kun­st zulässt, öffnet er sich auch gegenüber anderen Per­so­n­en und lässt sich auf ungeah­nte Möglichkeit­en ein, die sich ihm eröff­nen. Am Ende scheint Vik­tor durch das Medi­um der Kun­st einen Weg gefun­den zu haben, sich auf die Welt und ihre Her­aus­forderun­gen einzu­lassen.

Ins­ge­samt präsen­tiert Volk­er Kamin­s­ki mit “Schönes Leben” die nuancierte Charak­ter­studie eines jun­gen Kün­stlers und fängt dabei das Set­ting des akademis­chen Kun­st­be­triebs gekon­nt ein.

Volk­er Kamin­s­ki: Schönes Leben, Pal­mArt­Press 2025, ISBN 978–3‑96258–227‑2, gebun­dene Aus­gabe, 25 Euro.