Magazin für Kultur

Kategorie: Rezension Belletristik (Seite 2 von 2)

“… es kommt aber darauf an, die Welt zu verändern”

Was hat eigentlich die Pro­tag­o­nistin in Zora del Buonos Roman “Die Marschallin” mit der roten Zora aus dem Jugend­buch von Kurt Held gemein­sam?

Die rote Zora als Gefährtin im Geiste

Die rote Zora ist bekan­nt aus dem Jugend­buch “Die rote Zora und ihre Bande”. Zusam­men mit ein­er Gruppe von Waisenkindern schlägt sie sich in einem kroat­is­chen Küstenort durch. Was die zusam­mengewür­felte Bande zusam­men­schweißt, ist ihre Sol­i­dar­ität füreinan­der. Aber die Kinder haben auch Für­sprech­er unter den Dorf­be­wohn­ern und treten mit ihnen gemein­sam für soziale Gerechtigkeit ein.

Im Roman “Die Marschallin” von Zora del Buono heißt die Pro­tag­o­nistin eben­falls Zora, sie ist die Groß­mut­ter der Autorin. Diese Zora hat einiges mit Kurt Helds Ban­de­nan­führerin gemein­sam. Bei­de stam­men aus dem Gebi­et, das ein­mal Jugoslaw­ien war, und bei­de mussten als Kinder den Ver­lust ihrer Mut­ter verkraften. Vielle­icht wurde ger­ade durch diese Erfahrung das Tal­ent zur Anführerin geweckt. Nicht zufäl­lig trägt der Roman von Zora del Buono den Titel “Die Marschallin”, denn die Groß­mut­ter der Autorin, die eben­falls Zora Del Buono (allerd­ings mit großem “Del”) heißt, behielt stets das Kom­man­do über ihre Fam­i­lie — sowohl über ihre vier Brüder als auch über ihre drei Söhne. Dieses Kom­man­do ging so weit, dass Zora die Schwiegertöchter für ihre Söhne aus­suchte. Das Kri­teri­um, das ihr dabei als Richtschnur diente, war, dass die Schwiegertöchter selb­st keine Müt­ter haben soll­ten. Zora war von einem grund­sät­zlich­es Mis­strauen gegenüber Frauen geprägt und wollte das weib­liche Per­son­al ihrer Fam­i­lie ger­ing hal­ten.

Genossen unter sich

Karl Marx und Friedrich Engels © Sophia Höff

Zur Bande von Zora Del Buono gehörten solche kom­mu­nis­tis­chen Grün­dungs­fig­uren wie Anto­nio Gram­sci und Josip Broz Tito. Zora war eine glühende Kom­mu­nistin. Diese Pas­sion für den Kom­mu­nis­mus teilte sie mit ihrem Ehe­mann, dem sizil­ian­is­chen Radi­olo­gen Pietro Del Buono. Die bei­den lern­ten sich 1919 in der slowenis­chen Stadt Bovec im Soča-Tal ken­nen. Nach dem ersten Weltkrieg gehörte dieser Teil der ehe­ma­li­gen K.-u.-k-Monarchie zu Ital­ien.

Einige Zeit ver­bracht­en Zora und Pietro zusam­men mit ihren Söh­nen in Berlin, wo Pietro an der Char­ité beschäftigt war. Die meiste Zeit über lebten die Del Buonos jedoch in der südi­tal­ienis­chen Stadt Bari, wo Zora eigens ein Palaz­zo ent­warf, das sowohl als Res­i­denz wie auch als radi­ol­o­gis­che Klinik fungierte. Während ihr Mann also im Untergeschoss eine Klinik betrieb, beschäftigte sich Zora im Obergeschoss damit, das Schick­sal ihrer Fam­i­lie zu spin­nen.

Glanzzeiten und Schicksalsjahre

Ein Einzelschick­sal ist nicht ohne die Zeit­geschichte zu denken. So sind die Ereignisse im Leben der Buonos eng mit den poli­tis­chen Umwälzun­gen ihrer Zeit ver­woben. Während des ital­ienis­chen Faschis­mus sym­pa­thisierten Zora und Pietro mit den Par­ti­sa­nen und ein beson­deres Ereig­nis war der Besuch Titos im Palaz­zo der Fam­i­lie. Um diesen Besuch und eine ver­meintliche Krankheit Titos rankt sich eine gern tradierte Fam­i­lien­anek­dote.

Für den Roman wird aber ein anderes Datum zu einem Kristalli­sa­tion­spunkt. Am 24. Juli 1948 ereignete sich ein Ver­brechen, in das die Del Buonos ver­strickt waren. Für Zora Del Buono resul­tierte daraus ein Schuldge­fühl, das sie bis zu ihrem Tod ver­fol­gte. 1948 war auch das Jahr, in dem die Del Buonos aus der Kom­mu­nis­tis­chen Partei Ital­iens aus­geschlossen wur­den. Das Großbürg­er­tum war for­t­an nicht mehr als Parteim­it­glied gefragt.

Sozial­is­tis­che Glas­malerei im ehe­ma­li­gen Staat­srats­ge­bäude der DDR © Sophia Höff

Der let­zte Teil des Romans wird in Form eines Monologs der Groß­mut­ter erzählt. Zora Del Buono lebte bis zu ihrem Tod 1980 in einem Senioren­wohn­heim in der Stadt Nova Gor­i­ca, Jugoslaw­ien. Von den mondä­nen Jahren in Bari scheint an ihrem Lebens­abend nicht viel geblieben zu sein. Auch den frühen Tod ihrer Söhne musste sie verkraften.

In einem schw­er nachvol­lziehbaren Gedanken­gang deutete sie den Tod ihrer Söhne als Strafe ein­er höheren Macht. Aus dem Schuld­beken­nt­nis, für den Tod der Söhne ver­ant­wortlich zu sein, spricht eine Selb­stüber­schätzung, aber zugle­ich ein Bewusst­sein für das eigene Scheit­ern. Das Schick­sal ist nicht zu steuern und unter­wirft sich auch nicht dem Dik­tat ein­er Marschallin.

Ein starkes Porträt

Der Roman “Die Marschallin” zeich­net im Kern das Porträt ein­er wil­lensstarken und res­oluten Frau, deren Biografie jedoch Brüche und Wider­sprüche offen­bart, die sie zu ein­er ein­drucksvollen Zeitzeu­g­in des 20. Jahrhun­derts machen.

Zora del Buono: Die Marschallin, C. H. Beck 2020, ISBN: 978–3‑406–75482‑1, gebun­den, 24 Euro.

Michael Ende und der Ursprung aller Möglichkeiten

Um zu lieben, braucht es die Vorstel­lungskraft, dass das, was einem im All­t­ag begeg­net nicht alles sein kann. Das ist vielle­icht nichts, worin sich die Liebe von anderen Werten unter­schei­det. Auch Schön­heit, Stärke, Mut und Weisheit sind Werte, die den Sta­tus quo über­steigen. Ger­ade in der Gebrochen­heit unser­er Exis­tenz erleben wir die Sehn­sucht nach diesen Werten. Doch nur die Liebe ver­langt, dass wir unser Ich radikal preis­geben. Diese Erfahrung macht Bas­t­ian Balthasar Bux in Michael Endes Roman „Die unendliche Geschichte“.

In gewiss­er Weise ist „Die unendliche Geschichte“ ein Entwick­lungsro­man. Der Pro­tag­o­nist lernt näm­lich an einem Punkt tief­ster Verzwei­flung, sich selb­st neu zu denken und sich so eine Iden­tität zu schaf­fen. Anders als im klas­sis­chen Entwick­lungsro­man zieht Bas­t­ian jedoch nicht hin­aus in die Welt, son­dern hinein in sein Inner­stes. Denn der Ausweg aus sein­er Mis­ere liegt in seinem eige­nen Selb­stver­ständ­nis. Ist er daran gebun­den, feige zu sein? Oder birgt seine Vorstel­lungskraft nicht eben­so die Möglichkeit, ein mutiger Held zu sein? Man kön­nte annehmen, dass es nicht viel bedeutet, sich nur als mutig vorzustellen. Tat­säch­lich ist aber ger­ade diese Bere­itschaft, die Sehn­sucht und das Wün­schen zuzu­lassen, die Grund­lage aller Möglichkeit­en und die Voraus­set­zung des Han­delns über­haupt: Nur wer sich als mutig vorstellt, hat die Möglichkeit mutig zu sein. Wer es sich in sein­er Feigheit bequem macht, erfind­et wom­öglich tausend Ausre­den, weshalb das nicht anders gin­ge; doch er wird niemals über sich hin­auswach­sen. In dem Maß wie jemand auf seine fak­tis­che Exis­tenz beschränkt bleibt, wird er niemals eine Iden­tität entwick­eln. Die Iden­tität, die sich Bas­t­ian in Endes Roman zu eigen macht, ist das, was er sein möchte. Doch er lernt, dass er nicht er selb­st sein kann, wenn er nicht auch seine Ver­gan­gen­heit annimmt – wenn auch nur, um in der Zukun­ft ein ander­er zu sein.

Für Michael Ende ist jedoch an diesem Punkt die Iden­titätssuche des Pro­tag­o­nis­ten nicht abgeschlossen. Bas­t­ian stellt sich am Ende des Romans der fak­tis­chen Wirk­lichkeit, als jemand, der bere­it ist, sein Ich preiszugeben – nicht in der Kapit­u­la­tion gegenüber der Welt des Fak­tis­chen, son­dern in der Sehn­sucht auf den höch­sten Wert: die Liebe. Damit hat er seinen Mut real ein­gelöst. Zugle­ich war seine Iden­titätssuche notwendig, denn nur wer ein Ich hat, das er preis­geben kann, ist zur Liebe fähig.

Zur Zeit sein­er Pub­lika­tion wurde Endes Roman als unpoli­tisch und eskapis­tisch kri­tisiert. Im Gegen­satz dazu denke ich, dass „Die unendliche Geschichte“ äußerst poli­tisch ist. Ende zeigt, dass die Voraus­set­zung allen (poli­tis­chen) Han­delns die Fähigkeit und der Mut zur Fan­tasie ist.

Michael Ende: Die unendliche Geschichte, Thiene­mann Ver­lag 2019, ISBN: 978–3‑522–20260‑2; 20 Euro.

Wenn das Fahrwasser unruhiger wird

Als freier Jour­nal­ist hat man es nicht leicht: Die Ein­sendun­gen für eine Lit­er­aturzeitschrift müssen redigiert wer­den, erweisen sich jedoch als nicht ger­ade gehaltvoll. Und einen sorgsam recher­chierten Artikel in ein­er renom­mierten Tageszeitung unterzubrin­gen, ist auch nicht ein­fach.

Aber der Autor und Jour­nal­ist Sascha Fehrmann hat es ganz gut getrof­fen. Er wohnt mit sein­er Frau und sein­er Tochter in einem großbürg­er­lichen Haus in Karl­sruhe, das ihnen die Schwiegerel­tern abge­treten haben. Der großflächige Garten hin­ter­lässt regelmäßig Ein­druck bei seinen Besuch­ern.

Doch die Fehrmanns kom­men in unruhigeres Fahrwass­er, als sich ein alter Schul­fre­und Saschas namens Frank Kali­na in ihr Leben ein­nis­tet. Der zunächst unwillkommene Gast, den man zu Beginn des Romans noch für einen Ein­brech­er hält, hat das Tal­ent in jed­er Sit­u­a­tion tonangebend zu sein. So zieht er die Aufmerk­samkeit auf sich, als er Frem­den von sein­er Ver­gan­gen­heit als „Men­schen­fress­er“ erzählt, und ver­prellt die bürg­er­lichen Par­tygäste der Fehrmanns durch sein emphatis­ches Plä­doy­er für die Frei­heit. Der pro­fes­sionelle Schaus­piel­er tritt frühzeit­ig der Laienthe­ater­gruppe von Saschas Ehe­frau bei und überzeugt mit seinem unberechen­baren Charis­ma. Sein Hang zum Abgründi­gen zeigt sich nicht nur in sein­er Vor­liebe für Schauer­ro­mane E. T. A. Hoff­manns, son­dern auch in seinem eige­nen Lebensen­twurf.

Das Mys­teri­um, das den selb­ster­nan­nten „Men­schen­fress­er“ umgibt, schlägt Sascha in Bann. Während immer neue Details aus Franks Ver­gan­gen­heit ans Licht kom­men, rückt die Gefahr für Sascha und seine Fam­i­lie immer näher. Den­noch hadert Sascha lange mit der Entschei­dung, wie er sich gegenüber Frank posi­tion­ieren soll, in dem er mehr und mehr das Spiegel­bild eines alter­na­tiv­en Lebensen­twur­fes erken­nt.

Volk­er Kamin­skis Roman „Der Ges­tran­dete“ überzeugt als Kri­mi mit exis­ten­zial­is­tis­chem Touch. Das Motiv des Dop­pel­gängers zieht sich auf mehreren Ebe­nen durch den Roman und erzeugt eine faszinierende Atmo­sphäre der Ambivalenz. Auch Sprache und Stil machen es dem Leser leicht, sich in die Lebenswelt der Pro­tag­o­nis­ten zu begeben.

Volk­er Kamin­s­ki: Der Ges­tran­dete, Lin­de­manns Bib­lio­thek, Band 327, Info Ver­lag 2019, ISBN: 9783963080289.

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