Spannende Recherche der jüdischen Familiengeschichte
Die Autorin Anne Berest erforscht in diesem Buch ihre eigene Familiengeschichte. Im Mittelpunkt steht ihre Großmutter, die sich als einzige ihrer in Frankreich integrierten Familie der Verschleppung französischer Behörden in deutsche Vernichtungslager entziehen konnte. Sehr einfühlsam, voller persönlicher Emotion, authentisch auch durch zahlreiche Quellenangaben schildert Anne Berest die andauernde Diskriminierung und Verfolgung jüdischer Mitbürger, entsprechend der Aussage ihrer Großmutter zu ihren Eltern und Geschwistern „Ich darf sie nicht vergessen, sonst gibt es niemanden mehr, der sich daran erinnert, dass sie gelebt haben“ (S.536). Vor den mehrfachen Vertreibungen und der Vernichtung wäre die Familie in Palästina geschützt gewesen (der entscheidende Grund zur Gründung Israels). Das Buch ist auch ein spannend geschriebenes Geschichtsbuch: der Leser erfährt bislang wenig Bekanntes zu den antisemitischen Maßnahmen der französischen Behörden nach 1940, aber auch zum doch wirksamen Netzwerk der Résistance. Es spricht für die französische Gesellschaft, dass dieser autofiktionale Roman seit seinem Erscheinen im September 2021 auf den Bestsellerlisten steht. Eine Auseinandersetzung mit der Geschichte, gar ein Verantwortlichwerden, zumindest die notwendige Erinnerung zur Mahnung findet demnach auch in Frankreich statt.
Anne Berest: Die Postkarte, 539 Seiten, Berlin Verlag, Berlin/München 2023, ISBN: 9783827014641, 28 €
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