Magazin für Kultur

Monat: November 2023

Fassadendämmerung — Berliner Jugendstil

Vie­len ist nicht bewusst, dass es in Berlin zahlre­iche, sehenswerte Jugend­stil-Baut­en gibt. Auch der Autorin Johen­ning, die vor diesem Buch Reise- und Architek­tur­führer über St. Peters­burg, Moskau, Kiew, Tbilis­si und Baku ver­fasst hat­te, immer mit Jugend­stil-Baut­en im beson­deren Fokus. Erst die Coro­na-Pan­demie brachte sie dazu, in Berlin nach Häusern in Jugend­stil-Architek­tur zu suchen. Sie ist fündig gewor­den und hat jet­zt einen sehr überzeu­gen­den Führer dazu vorgelegt und zeich­net wohl auch für die ein­drucksvollen Fotografien ver­ant­wortlich (in ihrem Vor­wort gibt es dazu lediglich eine Andeu­tung). 70 Baut­en, sowohl im Orig­i­nalzu­s­tand aus der rel­a­tiv kurzen Zeit der Jugend­stil-Architek­tur von 1900 bis 1906 als auch in rekon­stru­iert­er Form, stellt sie vor. Die schon in den 1920er Jahren ein­set­zende, dann in den 1950er Jahren umfassende Mode, gar Pflicht zur „Entstuck­ung“ ist danach zum Teil wieder rück­gängig gemacht wor­den. So kön­nen jet­zt die großar­ti­gen Fas­sadengestal­tun­gen von der Autorin abwech­slungsre­ich und gründlich recher­chiert beschrieben wer­den. Die Baubeschrei­bun­gen wech­seln mit zahlre­ichen Motiv-Erläuterun­gen ab, auch wer­den Infor­ma­tio­nen zu den Bauher­ren und Architek­ten gegeben. Selb­st ein Inter­view mit einem für zahlre­iche beispiel­hafte Fas­saden­ren­ovierun­gen in Berlin ver­ant­wortlichen Restau­ra­teur im Stuck­a­teur-Handw­erk enthält dieses sehr infor­ma­tive Buch, das zu reizvollen Spaziergän­gen mit geschärften Blick auf Gebäude­fas­saden anregt.

Johen­ning, Heike Maria: Fas­sadendäm­merung – Berlin­er Jugend­stil, 292 Seit­en, zahlre­iche Farb­fo­tografien, Ammi­an Ver­lag, Berlin 2023, ISBN: 978–3‑948052–56‑0, 28 €

Im Schatten meines Großvaters

Dieses sehr per­sön­lich geschriebene, faszinierende Buch macht anschaulich wie famil­iäre Ver­gan­gen­heit gen­er­a­tionsüber­greifende psy­chis­che Auswirkun­gen haben kann, wie unver­ar­beit­ete Gefüh­le weit­ergegeben wer­den, Schuld und Scham aufgear­beit­et wer­den müssen, um sich befreiend auszuwirken. Als die in Eng­land geborene Autorin, Tochter ein­er Deutschen und eines Englän­ders, den Namen ihres Groß­vaters, des Wehrma­chts­gen­er­als Karl von Graf­fen, zum ersten Mal googelte, tauchte ein Foto auf, wie er im Mai 1945 vor den Amerikan­ern kapit­uliert. Angela Find­lay wurde zur Detek­tivin, sprach mit Fam­i­lien­mit­gliedern und mit Frem­den, um sich ein immer detail­liert­eres Bild nicht nur von ihrer deutschen Fam­i­lie, son­dern auch vom Deutsch­land der 1930er- und 1940er-Jahre und darüber hin­aus zu machen. Ein großer Teil ihrer Recherchen umfasste Reisen zu den Stät­ten des Wirkens ihres Groß­vaters in Deutsch­land, Rus­s­land und Ital­ien. Durch die Arbeit an diesem Buch, ihren zahlre­ichen Vorträ­gen zu den Trau­ma­ta nicht ver­ar­beit­eter Ver­gan­gen­heit hat die Autorin sich stufen­weise von ihren wieder kehren­den psy­chis­chen Prob­le­men befre­it und ver­mit­telt ein­dringlich den Lesern in Großbri­tan­nien und jet­zt auch in Deutsch­land Ein­blicke in psy­cho­so­ma­tis­che Prozesse der Ver­ar­beitung von Lei­den.

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