Wenn wir in einem ver­lasse­nen Zim­mer ste­hen, eine Stereo-Anlage neben dem Bett und ein Poster an der Wand sehen, dann sind das bloße Gegen­stände, die nur auf sich selb­st ver­weisen. Und doch sind es Spuren, die uns vor Augen führen, was den Raum zu einem frem­den Raum macht. Plöt­zlich erken­nen wir die Abwe­sen­heit, die all den Gegen­stän­den um uns herum innewohnt. Der Raum entzieht sich uns, weil er auf einen anderen ver­weist, auf jeman­den, der auf diesem Bett Musik gehört und der dieses Poster ange­bracht hat. Indem jemand diesen Raum bewohnte, hat er ihm einen tran­szen­den­ten Sinn gegeben. Wenn wir nun das Zim­mer vor uns sehen, erschließt sich uns vielle­icht nicht sein Sinn und doch spüren wir die Abwe­sen­heit eines anderen.

Anna Lehmann-Brauns und Julia Rosen­baum

Dieser Abwe­sen­heit nachzus­püren, kön­nte man als lei­t­en­des Motiv der Fotografin Anna Lehmann-Brauns beze­ich­nen. Beim 8. Salon für Kun­st und Kul­tur wurde die Kün­st­lerin vorgestellt. Der Salon find­et vier­mal im Jahr zu unter­schiedlichen The­men statt und wird von der Fotografin Anett Stuth gemein­sam mit der Kun­sthis­torik­erin Julia Rosen­baum ver­anstal­tet. Neben einem Kün­st­lerge­spräch, gab es die Möglichkeit in ein­er Werkschau einen Überblick über die let­zten zwanzig Jahre aus dem Schaf­fen Anna Lehmann-Brauns zu erhal­ten. Die Mod­er­a­tion über­nahm Julia Rosen­baum.

Der Charme des Verfalls

Wenn Anna Lehmann-Brauns davon spricht, was sie immer wieder aufs Neue fasziniert, dann ist es das Herun­tergekommene, Schäbige, was aber den­noch seinen Glanz bewahrt hat. In ihren Fotografien ist genau dieser Bruch zwis­chen der aktuellen Wahrnehmung und einem unbes­timmten Vorher spür­bar. Dieses Vorher scheint das eigentliche Herzstück des Bildes zu sein. Im Vorhinein hat sich eine Geschichte ereignet und Geschicht­en sind es, die die Fotografin mit ihren Bildern verbindet.Ob es der Kün­st­lerin um das aneignen von etwas Frem­den geht?, fragt Julia Rosen­baum. Denn das Fremde scheint in Anna Lehmann-Brauns Fotografien immer anwe­send zu sein. Es sind nicht zulet­zt die Geschicht­en von Frem­den, die sie mit ihrer Fotografie ein­fängt. Außer­dem ist die Fremde für eine Kün­st­lerin rel­e­vant, die sowohl in den USA als auch in Chi­na tätig war. Lehmann-Brauns betont, dass Fotografie für sie ein Mit­tel ist, um sich in der Welt zurechtzufind­en.

Bitterblue

Immer wieder kommt Julia Rosen­baum auf das The­ma der kom­ponierten Räume zu sprechen. Erste Bekan­ntheit erlangte die Kün­st­lerin näm­lich durch die Serie „bit­terblue“, in der sie Mod­elle in Pup­pen­stuben­größe – anfangs noch recht über­laden und zulet­zt ganz schlicht – fotografierte. Sie bilden den Grund­stein für ihre weit­ere Arbeit und ihr Inter­esse an Räu­men. Nach dem Abschluss ihrer Diplo­mar­beit im Jahr 2000 hat sie sich real großen Räu­men zuge­wandt. Mit diesem Ansatz absolvierte sie die Meis­terk­lasse bei Joachim Brohm an der Hochschule für Grafik und Buchkun­st in Leipzig.

Wild Side West

Das Inter­esse für Räume ist zwar geblieben, doch spätestens der 5‑monatige Aufen­thalt in San Fran­cis­co im Jahr 2016 macht die grund­ver­schiedene Arbeitsweise evi­dent. Anna Lehmann-Brauns entsch­ied sich dafür, die lokalen Clubs der LGTB-Szene zu fotografieren. Schon rein zeitlich war es der Kün­st­lerin nicht möglich die Bilder zu arrang­ieren. Notge­drun­gen musste sie mit dem arbeit­en, was sie vor­fand. Inter­es­san­ter­weise bedeutet das für die Kün­st­lerin aber keinen Gegen­satz zur mod­ell­basierten Fotografie. In bei­den Fällen geht es für sie darum, aus dem Chaos, das sich ihr dar­bi­etet, ein „kom­poniertes“ Bild her­auszu­fil­tern. Das Bild fügt sich im Blick der Kün­st­lerin zu einem Arrange­ment zusammen.Und auch dem Betra­chter ihrer Fotografien bieten sich die Räume in diesem Sinne dar. Wenn wir einen Raum betra­cht­en, erschließen sich uns die Dinge in ihrem Uten­sil­ität­skom­plex. Der Fotografin gelingt es, diese tran­szen­dente Struk­tur in ihren Fotografien einz­u­fan­gen.

Letzter Vorhang

Ein anderes Pro­jekt war die Serie „Let­zter Vorhang“, bei der Anna Lehmann-Brauns 2018 ein halbes Jahr lang die Komödie am Kur­fürs­ten­damm fotografierte und damit den Abriss qua­si begleit­ete. Die Kün­st­lerin ist gegenüber vom The­ater geboren und verbindet daher per­sön­liche Erin­nerun­gen damit. Als Betra­chter ist man geneigt, sich eben­falls mit dem The­ater ver­bun­den zu fühlen. Denn die Geschicht­en, die sich vorher dort abge­spielt haben, sind auf den Fotografien beina­he greif­bar.

Titel­bild: © Anna Lehmann-Brauns