Karolina Kuszyks lesenswerte Sachbuch „In den Häusern der Anderen“ ist voller persönlicher Bezüge, Erlebnisse und Begegnungen. Die Autorin wuchs im ehemals deutschen Liegnitz, jetzt Legnica, auf. Das Buch ist außergewöhnlich, da es erstmalig die Tragik der Vertreibung von zehn Millionen Deutschen aus Schlesien, Pommern, der Neumark und Ostpreußen aus polnischer Sicht thematisiert.
Das Buch wurde zuerst in Polen veröffentlicht und löste dort kontroverse Diskussionen aus. Die jetzigen polnischen Westgebiete waren jahrhundertelang von Deutschen besiedelt. Sie mussten nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Häuser, Straßen, Fabriken und Kirchen, aber auch ihre Möbel, Küchengeräte und Bilder zurück lassen. Die Autorin stellt sich die Frage, welche Geschichten erzählen diese Hinterlassenschaften heute über ihre ehemaligen Besitzer? Wie machten die Neusiedler die Städte und Dörfer der ehemaligen Besatzer zu ihrer Heimat? Menschen aus anderen Landesteilen Polens, darunter Vertriebene aus den östlichen Grenzgebieten um Lemberg und Vilnius, wurden in den dann „wiedergewonnene Gebiete“ (ein „Propagandanarrativ von der Rückkehr auf ureigenes Territorium“ S. 14) angesiedelt.
Kuszyk beschreibt ihre „Erfahrung, in einer nie ganz als eigene empfundenen Landschaft zu leben, die mit dem Gefühl verknüpft war, dass die Geschichte meiner Stadt und ihres Umlands ein schambehaftetes Geheimnis in sich barg.“ (S. 12) „Oft wurde das Heimischwerden auch durch die neuen Namen [für die deutschen Städte und Dörfer – d.V.] erschwert, die nach den Richtlinien der Kommission zur Festsetzung von Ortsnamen…vergeben wurden und für normale Menschen mitunter völlig unverständlich waren. Man ließ den neuen Siedlungen [d.h. den neu besiedelten Orten – d.V.] nicht die Zeit, zu eigenen Namen heranzureifen, und die Vorschläge der lokalen Gemeinschaften… wurden meist abgelehnt…Und so entstand onomastischer Schrott, der für polnische Ohren noch dazu alles andere als freundliche Assoziationen weckt…Der Schriftsteller und Maler Henryk Waniek nennt Niederschlesien ein „Reservat verdorbener Namen“. (S.48) Die Autorin beklagt, dass unzählige Zeugnisse der Vergangenheit wie die zahlreichen Schlösser und Herrenhäuser gerade in Niederschlesien zerstört und dem Verfall überlassen wurden. Die deutschen Friedhöfe wurden in den 1950er Jahren durch Verordnungen der Regierung aufgelöst, davor und danach völlig zerstört.
Hoffnungsvoll allerdings kann die Autorin von zunehmendem Interesse der Bevölkerung in West- und Nordpolen an der deutschen Vergangenheit und dem Engagement einzelner Initiativen zum Erhalt und dem Wiederherstellen von Erinnerungszeichen berichten.
Karolina Kuszyk: In den Häusern der Anderen, 400 Seiten, Hardcover, Ch. Links Verlag, Berlin 2022, ISBN 978-3-96289-146-6, 25 €.
VON DR. JÖRG RAACH UND JULIA KRATZER