Die Autorin dieses besonderen Buches ist Professorin an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg und verwandt mit der im Buch porträtierten Familie Grüngard, die bis zu ihrer Auswanderung nach Palästina 1934 in der Freiherr-vom-Stein-Str. 13 in Berlin-Schöneberg ein stattliches Haus besaß. Nach intensiven Recherchen in Archiven kann die Autorin die faszinierende Geschichte einer Familie nacherzählen, deren Villa in den späten Zwanzigern ein gesellschaftlicher Treffpunkt ostjüdischer und zionistischer Kreise gewesen war, ein Ort, an dem jüdische Dichter, Maler, Schauspieler, Philosophen und Politiker zusammenkamen. Zum einen ist über das Wirken zahlreicher zionistischer Vereinigungen in Berlin in den 1920er Jahren, das mit zahlreichen Reisen nach Palästina verbunden war, wenig bekannt; zum andern ist der Umfang jüdischer Auswanderung nach und die Besiedelung „Erez Israel“ lange vor Gründung des Staates Israel beachtenswert und ebenso wenig bekannt (1925 wurde die Hebräische Universität und 1930 die Nationalbibliothek in Jerusalem eröffnet, Tel Aviv hatte 1925 schon 30.000 Einwohner). Das Buch schließt diese Informationslücke und verbindet dies mit einer sehr einfühlsam erzählten Familiengeschichte aus der Perspektive eines Hebräisch-Lehrers. Wäre die Auswanderung nach Palästina nicht zunehmend von der britischen Mandatsherrschaft behindert worden, hätten weit mehr Juden vor dem Holocaust gerettet werden können.
Anat Feinberg: Die Villa in Berlin – Eine jüdische Familiengeschichte 1924-1934, 232 S., 40 Abb., geb., Schutzumschlag, Wallstein Verlag, Göttingen 2022, ISBN 978-3-8353-5315-2 , 26 €.
VON DR. JÖRG RAACH UND JULIA KRATZER