Zeitzeugen sind eine unerschöpfliche Quelle historischer Erfahrungen. Im Gespräch mit ihnen kann man ein Gefühl für eine bestimmte Zeit, für Menschen und Orte bekommen, die ansonsten im farblosen Staub der Vergangenheit jede Eigenart verloren haben.
Doch es gibt auch stumme Zeitzeugen, die nicht selbst von ihrer Zeit berichten können. Dazu zählen Bauwerke, Denkmäler und Institutionen. Einer dieser stummen Zeitzeugen ist der Berliner Zoo: In den letzten 175 Jahren hat er verschiedene Staatsformen erlebt und wechselnde Direktoren, die ihre Integrität durch die politischen Systeme hindurch in unterschiedlichem Maße bewahren konnten. Der Berliner Zoo ist der älteste Zoo Deutschlands. Clemens Maier-Wolthausen erzählt seine Geschichte.
Angefangen als preußisches Bildungsprojekt, hatte der Berliner Zoo Schwierigkeiten auf eigenen Beinen zu stehen und bedurfte der Subvention durch den König. Von nichts kommt nichts: Daher mussten zunächst einmal interessante Tiere erworben werden, um zahlendes Publikum anzulocken. Bei der Tierhaltung orientierte sich der Zoo zu allen Zeiten an den neuesten zoologischen Standards.
Es ist amüsant zu lesen, wie die Verantwortlichen manches Mal vom Interesse des Publikums überrascht wurden. Da gab es zum Beispiel „Knautschke“, ein Flusspferd, das das Bombardement Berlins während des zweiten Weltkrieges überlebt hatte. Wie Maier-Wolthausen beschreibt, war die Sympathie der Berlinerinnen und Berliner so groß, dass sie Knautschke von ihren Essensrationen abgaben. Im Nachkriegsdeutschland nahm die Popularität Knautschkes noch zu, als er sage und schreibe 35 Flusspferdjungen zeugte.
Eine ähnliche Beliebtheit erreichte nur der Eisbär „Knut“, der Anfang der 2000er Jahre für Gedränge am Bärenfreigehege sorgte.
Es waren solche Sympathieträger, aber auch gezielte Anreize wie Rabatte, Restauration und architektonische Schauwerte, die den Berliner Zoo zu einem „Place to be“ machten. Der Zoo mauserte sich zu einem Aktienunternehmen, das seine Klienten nicht durch wirtschaftliche Gewinne an sich band, sondern durch einen ideellen Wert. Dieser Wert geht in der Weimarer Republik mit einem neuen Selbstbewusstsein des Bürgertums einher. Maier-Wolthausen bezeichnet dieses Prestige, eine Zoo-Aktie zu besitzen, als „Ausweis [einer] Zugehörigkeit zum Berliner Bürgertum“ und „Ausdruck mäzenatischen Selbstverständnisses“. Abgesehen von Aktien garantieren damals wie heute Spenden und Testamente das Fortbestehen des Berliner Zoos.
Was könnte man sich mehr wünschen, als eine solch enge Kundenbindung? Jedoch verstand es die Leitung des Berliner Zoos während des Nationalsozialismus nicht, Freund von Feind zu unterschieden. Der Direktor Lutz Heck drängte die jüdischen Kollegen aus den Führungspositionen im Aufsichtsrat und bereicherte sich an der Diskriminierung von jüdischen Aktionären. So kaufte der Zoo Wertpapiere jüdischer Klienten unter Marktwert an, um sie anschließend teurer zu verkaufen. Zur Stunde Null versuchte sich Lutz Heck mithilfe von finanziellen Mitteln des Zoos nach Süddeutschland abzusetzen.
In der Zeit des Kalten Krieges bekam der Berliner Zoo Konkurrenz hinter dem eisernen Vorhang: Der Tierpark war im Ostteil Berlins ein großer Publikumsmagnet und zog auch Westberliner an. Der Bau der Berliner Mauer bedeutete natürlich einen Besucherrückgang für den Zoo.
Maier-Wolthausen lässt auch die Querelen um den Erhalt des Tierparks nach dem Fall der Mauer nicht außer Acht. Das öffentliche Interesse am Berliner Tierpark war und ist enorm. So gehört Berlin letztlich zu den wenigen Städten in der Welt, die genug Begeisterung für zwei zoologische Gärten aufbringt. Seit 2014 vereint die Marke „Zoologische Gärten von Berlin“ den Zoo, den Tierpark und das Aquarium unter einem Dach.
Geschichte ist durchlässig und erfasst alles, was im Moment ihrer Realisierung vorhanden ist, im Großen wie im Kleinen. So wundert es nicht, dass sich in der Geschichte des Berliner Zoos sowohl Stadtgeschichte als auch Weltgeschichte spiegeln. Clemens Maier-Wolthausen hat dem Berliner Zoo eine Stimme gegeben und seine Geschichte fachkundig und detailreich erzählt. Das Resultat ist ein spannender Bericht aus 175 Jahren Geschichte.
Clemens Maier-Wolthausen: Hauptstadt der Tiere. Die Geschichte des ältesten deutschen Zoos, hrsg. v. Andreas Knieriem, Christoph Links Verlag, Berlin 2019.
VON SOPHIA HÖFF
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